| Inventar 
				 
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				 Gedanken zur Zensur von Worten und Themen 
 Nein, in diesem Thread geht es nicht darum, sich über mods zu beschweren, ich fand aber hinsichtlich der laufenden Diskussion @topic folgenden Artikel einer Feministin wirklich lesenswert und da es im Beisl dieses prob nicht gibt poste ich das hier exklusiv    :
Darf man "Fotze" sagen? 
	Zitat: 
	
		| Kolumne           In der feministischen und antirassistischen Debatte spielen  Worte eine wichtige Rolle. Doch wann werden sie beleidigend? Und wie  viel Zensur verträgt ein freier Diskurs? In Hass sprich – zur Politik des Performativen  setzt sich Judith Butler intensiv mit dem Verletzungspotential von  Sprache auseinander. Sie dreht und wendet die Frage, wie  Herrschaftsverhältnisse durch Sprechakte immer wieder hergestellt und  somit verstetigt werden. Butler ist vielen vor allem als Vertreterin der  Queer Theory bekannt – mit ihrem Werk Das Unbehagen der Geschlechter  wendete sich die Philosophin gegen eine binäre Codierung der  Geschlechter und damit gegen das Bollwerk der sogenannten „Modernen  Wissenschaften“: Die Naturalisierung von (Macht-)Unterschieden qua  Geschlecht. Bis heute werden WissenschaftlerInnen weltweit nicht müde,  die „Beweise“ für die Differenzen zwischen Männern und Frauen zu liefern  – zentraler Angelpunkt sind dabei meistens die Hormone. (In einer recht anschaulichen amerikanischen Studie  fanden ForscherInnen derweil heraus, dass je nach Grad des Glaubens an  Stereotype sich auch die tatsächliche Ausprägung und Wirkung von  Sexualhormonen verändere ; an anderer Stelle  besprach ich derweil schon die Differenzen der hierzulande breit  rezipierten Vertreterinnen einer Hormon-gesteuerten Theorie der großen  Unterschiede zwischen den Geschlechtern und wie sich die ganze Sache aus  der Perspektive der Neurowissenschaften darstellt).
 Abtreibung ist tabu
 
 Dem   setzt Butler wie viele andere eine Unterscheidung zwischen „Sex“ –  also dem biologischen Geschlecht, und „Gender“ – also dem sozialen  Geschlecht - entgegen. „Gender“ aber ist in vielen Kreisen ein  unbenutzbares Wort. Zum Beispiel in der Universität – ja genau. Viele  andere Studienfächer blicken verächtlich auf die „Gender Studies“ herab –  so nannte neulich ein Jurist in meiner Hörweite dieses Fach „einfach  nur Bullshit“. Die meisten Biologen, die ich von früher kenne, halten es  für ein Studienfach, das man eigens für alle weltfremden SpinnerInnen  und Anarchos erfunden haben muss. „Gender“ ist an vielen Orten im  Internet ein Un-Wort. Genau wie „Feminismus“. Aber Un-Wörter variieren  ja auch je nach kulturellem Deutungshorizont: Wussten Sie, dass in den  USA das Wort „Abtreibung“ mittlerweile in TV-Sendungen durch einen  Piepton ersetzt wird? Nein? Ich auch nicht, bis ich bei Judith Butler  davon las. Es ist wohl in der Tat so, dass alleine das Wort die  religiösen Gefühle vieler Menschen derart verletzt, dass man sich dazu  entschloss, es nicht mehr auszusprechen. Und auch das Wort „Homo“, wie  auch „schwul“ kann in bestimmten Kontexten ein Trigger, ein Schwert –  ja: eben eine richtige Beleidigung sein.
 Das Wort „Fotze“ ist  wirklich ein beleidigendes Schimpfwort. Als ein Junge aus meiner Schule  es zum ersten Mal zu mir sagte, setzte ich mich hinterher hin und  schlug es im Fremdwörterbuch nach. Auch wenn das lustig klingen mag: Der  Schlag in die Magengrube, dieses Wort aus dem Mund des Jungen an mich  gerichtet zu hören, in den ich seit langem schwer verliebt war, ist bis  heute präsent, wenn jemand es benutzt. Das erklärt meinen großen  Widerwillen, wenn zum Beispiel junge Feministinnen, ganz nach der Manier  der Selbstaneignung von Worten – wie dies auch beim dem Wort „Slut“ im  Zuge der „Slutwalks“  geschah  – „Fotze“ benutzen, um sich und andere junge Feminstinnen  damit zu betiteln. „Lieblingsfotzen“ ist ein so entstandener Begriff –  mit dem ich mich bis heute nicht anfreunden kann. Und auch nicht muss.  Aber vielleicht – und genau das habe ich von Judith Butler gelernt –  muss ich damit leben, dass es existiert; dass andere es benutzen; dass  es mich immer wieder ein kleines bisschen an damals erinnern wird,  wieder verletzen.
 Wir werden die Machtverhältnisse in der  Gesellschaft nicht ändern, wenn wir es uns und anderen verbieten, die  Wörter, die sie symbolisieren, zu benutzen. Im Gegenteil: Wenn wir das  Potential des Triggers – und damit das Potential zum Aufruhr, zum  Protest oder zur kleinen Revolution – einfach wegradieren, wenn wir  anfangen so zu reden, als sei es erstens überhaupt möglich und zweitens  erstrebenswert, dass wir durch unsere Sprechen niemanden mehr verletzen  können; niemanden mehr ein zweites Mal traumatisieren; alle  Machtverhältnisse beseitigen – dann werden wir: Am Ende nicht mehr reden  können. Geschweige denn handeln. Eine antiseptische Sprache führt zu  Erstarren.
 "Trigger-Potential" tut der Debatte gut
 
 So sind denn Sprech-Verbote, zum Beispiel weil jemand das Wort „Neger“ in einer Überschrift benutzt, oder Rügen   – es sei ein triggerndes und verletzendes Wort, das dürfe man nicht  benutzen – gerade mit Butler gedacht kein kluger Umgang mit einem  Konflikt. Denn dann landen wir allzu schnell bei der Sprachlosigkeit.  Ich habe bei besagtem Zeit-Artikel den Versuch gemacht, das Wort „Neger“  durch „N.“ zu ersetzen, wie es die Kritikerin Nadine Lantzsch auch tut.  Im zweiten Anlauf habe ich den Text so umgeschrieben, dass es gar nicht  mehr darin vorkommt. Der Artikel verliert damit tatsächlich einen  Großteil seiner bauchgruben-treffenden Wucht. Er verliert deutlich an  „Trigger“-Potential. Und das tut der Debatte überhaupt nicht gut. Es  wird immer etwas geben, das irgendjemanden triggert. Sei es „Fotze“, sei  es „Abtreibung“ oder eben „Neger“. „Dass die Sprache ein Trauma in sich  trägt, ist kein Grund, ihren Gebrauch zu untersagen. Es gibt keine  Möglichkeit, Sprache von ihren traumatischen Ausläufern zu reinigen und  keinen anderen Weg, das Trauma durchzuarbeiten, als die Anstrengung zu  unternehmen, den Verlauf der Wiederholung zu steuern.“ (Judith Butler:  Hass spricht; Frankfurt 2006: S. 66)
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