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Alt 07.12.2005, 23:48   #2
Androctonus
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Das Wetter Neufundlands war „normal“: Kalt, feucht, dichte Wolkendecke, also im Prinzip alles so, um nicht zu fliegen. Denn jetzt ist da Eiszeit und die Fluggeräte damals hatten ja noch keinen effektiven Vereisungsschutz der Tragflächen. Aber Microsoft war so freundlich, eine dicke Fettschicht auf die Tragflächen aufzutragen. So kümmerte mich das Eis wenig und ich freute mich über den kräftigen Wind aus Westen. Nach den Wetterfröschen blies der Wind die ganze Strecke über aus Westen. Nur um Irland blies es stärker aus Südwesten.

Schon wenige Minuten nach dem Start bemerkte ich Eisansatz am Pitot-Rohr: Der Fahrtenmesser fiel aus. Bevor auch der Vergaser anfing, Eis zu sammeln, zog ich lieber die Vergaservorwärmung.

So flog ich zunächst völlig unspektakulär durch die kalte, wolkenverhangene Nacht. An ein Peilen nach den Sternen war vorerst nicht zu denken. Geplant war aber für diesen Flug sowieso nur eine Navigation nach dem Sonnenstand, da dies der einzige Himmelskörper ist, den ich definitiv zu erkennen glaube. So hatte ich bis zum Sonnenaufgang zunächst einmal Ruhe und konnte überlegen, ob die Turbulenzen wohl noch zunehmen würden oder der FS vielleicht doch Tragflächenvereisung darstellen könnte.

Zweimal verstellte mir in der Nacht der Fluggeist meine Uhr um jeweils eine Stunde vor. Das war ärgerlich, aber glücklicherweise mit eingeplant gewesen. Womit ich nicht rechnete: Die Sonne erschien erst um 9:30 Uhr Zulu-Zeit!!!! Das erste Besteck wollte ich aber schon um 9:00 Uhr nehmen. So hatte ich 8 von 12 geplanten Fixpunkten zurückgelegt (und damit über die Hälfte der Gesamtstrecke), ohne meine Position abzugleichen! Mit gemischten Gefühlen ermittelte ich meine erste Standlinie –und erlag einem fatalen Irrglauben! Ich maß keinerlei Abweichung der Elevation und schloss daraus, dass ich exakt auf meinem für 10:00 Uhr Zulu-Zeit geplanten Fixpunkt lag.

Mittlerweile war auch das Wetter deutlich besser geworden. Es war wärmer geworden, um Null Grad, vereinzelt tief hängende Schleierwolken. Auch der Fahrtenmesser zeigte wieder an. Ich errechnete eine TAS von 136 kts. Super! Genau wie geplant. Aber alles läuft zu gut und das kann nicht sein. Und der Atlantik überrascht immer, wenn nicht gleich zu Beginn, so dann doch kurz vor Erreichen des Ziels.

Um 11:00 Uhr Zulu dann der Donnerschlag: Die Standlinie wies deutlich, um –20 NM ab. Und ich begann erst an dieser Stelle, mit den ermittelten Ergebnissen des Sextanten zu einer vernünftigen Interpretation zu kommen. Nicht so toll. Zwischen mir und dem Atlantik 5000 Fuß und keine Ahnung, wo ich jetzt eigentlich wirklich bin.

Flugpause, noch mal Tutorial von Dave Bitzer in die Hand genommen und gelesen. LOP? Line of position? Ich komme irgendwie einfach nicht dahinter, was Dave damit wirklich meint. Nach einer Weile lese ich in einem kleinen Büchlein etwas von STANDLINIE und eile schnell zu meiner Karte: Das ist Sie!!! Ich hatte den Azimut als LOP angesprochen. Peinlich, peinlich.... aber ich hatte bis vor kurzem nie etwas von Elevation oder Azimut gehört, geschweige von einer Standlinie.

Zurück zu meiner Situation: Ich bemerkte nun, das zwei Standlinien zur exakten Bestimmung der Position nötig wären. Dies geht aber nur mittels zweier Gestirne und die habe ich am Tage nicht. Höchst unangenehm! Aber wenigstens weiß ich anhand der auf der Karte übertragenen Standlinien, wo ich ungefähr sein könnte.

Ich merke, ein guter Navigator ist nicht fehlerlos, ein guter Navigator kennt die Fehler! Ich musste meine Position interpolieren. Ich hatte die Standlinien zweier Positionen und eine Wetterkarte. Mal nachgedacht: Am Anfang flog ich mit Westwinden, teilweise etwas aus südlicher Richtung kommend, hier in der Region des Golfstroms überwogen mehr südwestliche Winde, die an Heftigkeit zunahmen. Ich schätzte meine Position auf der zuletzt ermittelten Standlinie ab: Nordöstlich meines eigentlich geplanten Fixpunktes müsste ich eigentlich liegen, da ich mit dem Wind deutlich schneller als geplant geflogen sein muss. Nun errechnete ich eine Kursänderung plus Deklination plus geschätztem Windeinfluss. War vorher mein Kurs 99 Grad, so schätzte ich den neuen Kurs auf 119 Grad.

Nach einer Stunde ermittelte ich wieder meine Standlinie: Sieht gut aus. Keine weitere Verlagerung nach Norden, die Küste Irlands müsste bald angeschnitten werden.

Um 12:30 Uhr erkannte ich die Küste Irlands. Durch die ermittelten Standlinien bestand daran kein Zweifel. Als ich ein Besteck um 13:00 Uhr kurz vor der Küste Irlands nahm, erhielt ich durch den Schnittpunkt Standlinie/Küste Irlands meine exakte Position:

Hätte ich keine Korrektur vom geplanten Kurs gemacht, wäre ich mit ziemlicher Sicherheit an Irland vorbei geflogen.

So hatte ich den Atlantik bezwingen können, doch musste ich jetzt noch Hawarden finden und dort landen. Aber das wäre eine andere Geschichte.


Happy Landings,

Andreas

(Falls Bedarf an näheren Ausführungen zum sicheren Umgang mit dem Sextanten von Bitzer und Beaumont bestehen sollte, so einfach hier posten oder mir mailen, ich könnte vielleicht helfen )
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