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Lokales
Veröffentlicht am 29.11.2005 11:21:47
Für Aufsehen sorgt derzeit in Österreich die nachträgliche Manipulation des UN-Dokuments "Wiener Schlussfolgerungen" zur stattgefundenen Podiumsdiskussion auf dem Weltinformationsgipfel WSIS. Microsoft lies Hinweise auf freie Software streichen. Der Softwaregigant sieht sich im Recht und gab die Zensur freimütig zu – „dumm und unsinnig“ findet hingegen die Free Software Foundation Europe das Verhalten. Der Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society, WSIS) schrieb auch so schon keine guten Schlagzeilen. Dass der vom 6. bis zum 18. November 2005 stattfindende zweite Teil der Weltkonferenz der Vereinten Nationen mit mehr als 10.000 Teilnehmern ausgerechnet in Tunesien stattfand, erwies sich rückblickend als mutige, und vielleicht zu mutige Entscheidung. Die tunesischen Behörden ließen nur geringes Verständnis für Kritik an den Realitäten im eigenen Land erkennen. Schon vor dem Gipfel wurde Kritik an den Zuständen im Gastgeberland laut. Mit Beginn der Konferenz schließlich übertrug das tunesische Fernsehen die Eröffnungszeremonie live, doch als der Schweizer Bundespräsident Samuel Schmid in seiner Rede die Unterdrückung der Meinungsfreiheit offen kritisierte, endete plötzlich die Direktübertragung. Gegenseitige Vorwürfe und weitere Behinderungen durch die tunesischen Gastgeber waren die Folge.
Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass auch nördlich des Mittelmeers plötzlich Freude an der Zensur von Informationen gefunden wird. Mittendrin: Microsoft Österreich. Ein UN-Dokument mit dem Titel „Wiener Schlussfolgerungen“ wurde auf dem UN-Gipfel verteilt und sollte Ergebnisse einer schon im Juni in Österreich stattgefundenen Podiumsdiskussion zum Thema Digital Rights / Creative Commons festhalten. Die damaligen Teilnehmer staunten auf dem UN-Gipfel aber nicht schlecht, als sich die letztlich verteilten „Wiener Schlussfolgerungen“ dann jedoch in zentralen Punkten von dem unterschieden, was die Diskussionsteilnehmer in Wahrheit einige Monate zuvor erarbeitet hatten. Auf Verlangen von Microsoft, neben etwa Nokia und Ericsson einer der „Main partner“, verschwanden in dem Dokument Hinweise auf freie Software.
Die ursprüngliche Fassung lautete: „Umsätze werden zunehmend nicht durch den Verkauf von Inhalten und digitalen Werken generiert, da diese frei und nahezu ohne Kosten vertrieben werden können, sondern von Services, die auf ihnen aufsetzen“ Microsoft liest den Satz andern zu: „Umsätze werden zunehmend mit Services generiert, die auf Inhalte aufsetzen.“ Die Erwähnung des „Erfolgs Freier Software“ verschwand ebenso, wie ein Hinweis auf das Betriebssystem Linux. Auch fanden sich die Feststellungen „Kommerzielle Produkte bringen Innovation zu den Konsumentenmassen in aller Welt“ ebenso fälschlicher Weise als Resultat der Diskussion in dem Papier wie die These, „Um fortwährende Innovation sicherzustellen, müssen Digital Rights Management (DRM) Entwicklung und Verbreitung freiwillig und marktgetrieben bleiben.“ Noch während der Konferenz in Tunis bemühte sich Georg C.F. Greve von der Free Software Foundation Europe, die Angelegenheit zu klären. „Wir haben in Tunis versucht, mit den Österreichern zu sprechen. Die waren jedoch zu beschäftigt, den 'World Summit Award' und dessen Auskommen mit ihren Sponsoren zu feiern."
Microsoft gab unumwunden zu, die Änderungen beantragt zu haben. Die Originalfassung, so Thomas Lutz, Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit bei Microsoft Österreich, sei zu einseitig gewesen. „Es ist nicht das Ziel der Anhänger freier Softwarte einen gesunden Wirtschaftszweig aufzubauen, sondern Einnahmen durch Software als kommerzielles Produkt unmöglich zu machen", führte Lutz aus. Diese Feststellung, die Microsoft offenkundig per se als verwerflich versteht, nahm der Softwaregigant als Anlass, die beanstandeten Passagen in wohl ebenso einseitige Ausführungen mit ausgetauschtem Vorzeichen zu ändern. Dubios schließlich noch das Zustandekommen der Änderungen. Dr. Peter Aurelius Bruck, Verantwortlicher für die vom Bundeskanzleramt herausgegebenen Broschüre bestreitet die Änderungen ebenfalls nicht, hält sie aber nach ihrem Zustandekommen für legitim. Nach der durchgeführten Konferenz hätten die Ergebnisse in einem öffentlichen Blog zur Diskussion gestanden. Dort hätte Microsoft transparent und demokratisch die Änderungsvorschläge eingebracht, findet deshalb Thomas Lutz von Microsoft.
Jedoch war das Blog – das bis zu seiner Schließung gerade einmal drei Einträge aufwies – den übrigen Beteiligten gar nicht bekannt. Die Free Software Foundation Europe betonte, kein anderer Teilnehmer habe je von dieser nachträglichen Diskussion über die Konferenzinhalte erfahren. „Das ist so offensichtlich dumm und unsinnig, dass weitere Kommentare zwecklos erscheinen. Hier versucht ein Monopolist seine Monopolstellung zu verteidigen, in dem eine freie Entwicklung des Marktes verhindert wird", so der FSFE-President Greve.
Marc Störing
The Vienna Conclusion Originaltext
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